Die Krise ist vorbei? – lang lebe die Krise!

Die neue Parole in so manchem Wirtschaftsportal scheint auf den ersten Blick überraschend: die Krise ist vorbei! Die Begründungen sind natürlich solche, die lediglich für die Rechenmaschinen der EZB, des IWF oder der Börse spürbar sind: nahezu alle Krisenstaaten kommen so langsam aus der Rezession heraus, Irland kündigte an, den „Rettungsschirm“ zum Jahresende verlassen zu können. Doch für wen ist die Krise vorbei und für wen geht sie weiter? Die Antwort liefern erneute Massendemonstrationen in Italien und Portugal: hier kämpfen die Menschen gegen die andauernden Beschneidungen der Bildungs- und Gesundheitssysteme, der fortwährenden Lohn- und Rentenkürzungen. Denn der Preis, den die Lohnabhängigen dafür bezahlen, dass der Staat wieder seine normale Rolle in der kapitalistischen Wirtschaft einnehmen kann, ist immens. Die Frage des Sparens ist im Endeffekt natürlich nur eine der Umverteilung. Und zwar in dem Maße, wie sie dem nationalen Kapital sowie den AnlegerInnen anderer Länder dienlich ist: Beschneidung sämtlicher öffentlicher Gelder bei gleichzeitiger Investitionserleichterungen für das Kapital. Soll heißen in Infrastruktur für Unternehmen wird Geld investiert, dafür werden Renten gekürzt und das Eintrittsalter erhöht. Es gibt auch hier also nicht einfach nur den „Sparzwang“ kein Geld auszugeben, sondern es so auszugeben, dass wieder eine Rendite zu erwarten ist und das heilige Vertrauen in den jeweiligen Staat bei den AnlegerInnen wieder hergestellt werden kann. Dadurch lässt sich anhand verschiedenster Krisenländer sehen, wie wenig die Börsenzahlen mit der politischen Stabilität zu tun haben. Denn selbst wenn nun die meisten Länder offiziell wieder aus der Rezession draußen sind,  so ändert sich für die Mehrheit der Menschen deutlich wenig, außer dass ihre Lebensbedingungen weiter verschärft bleiben. Denn nach der Krise kommt die Depression. Eine Phase, in der die Menschen weiterhin bluten müssen um die Erholung der Märkte zu stabilisieren.

Die politische Dimension

Und wie gefährlich die Perspektivlosigkeit von Menschen sein kann, zeigt die zunehmende Faschisierung einiger Krisenländer. Eine nationale Mobilmachung zum Überwinden der Krise geht einher mit einer Ideologie, welcher der Boden meist schon lange bereitet wurde. Sei es in Ungarn, Griechenland oder in Italien: Die reaktionären Kräfte wachsen an, immer neue Parteien, seien es rechtspopulistische oder offen nationalsozialistische sprießen wie Pilze aus dem Boden und erreichen Wahlergebnisse, die einem das Fürchten lehren. Linke Positionen haben es oft schwer: SozialdemokratInnen haben die Bezeichnung „sozialistisch“ mit ihrem Vorgehen gegen die Interessen der Lohnabhängigen schon so ad absurdum geführt, dass sie Wenige als Option sehen. „Echte“ linke Optionen aus basisdemokratischen Strukturen werden von Vornherein oft so massiv mit Repression überzogen, dass sie kaum handlungsfähig sind oder sie spalten sich selbst bis zum völligen Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit. In einigen – vor allem manchen osteuropäischen Ländern – hat man  mit der Bezeichnung „links“ sowieso schon verloren, weshalb immer mehr Initiativen mit dem Label „Menschen- oder Bürgerrechte“ arbeiten. Doch das wiederum wird der Problematik eines so massiven Klassenkampfes von Oben nicht gerecht und wir müssen sehen, dass wir uns genau an diesem Punkt befinden. Die Zuspitzung der Verhältnisse ist in vielen Ländern immens – nur der Gegenspieler fehlt oft.

Ein paar Einblicke…

Hat man in Griechenland, Italien, Spanien und auch Portugal noch eine relativ starke Linke, ist diese zum Beispiel in Ungarn kaum existent. Die Situation dort ist jedoch dramatisch: Immer mehr Menschen stehen vor dem Nichts. Das bisschen Sozialhilfe, was es dort noch gab, wurde vor zwei Jahren auch noch beschnitten. Allein in Budapest leben 15.000 Menschen auf der Straße (zum Vergleich: etwa 20.000 in Griechenland) und dürfen sich laut eines neuen Gesetzes nun an verschiedenen öffentlichen Orten nicht aufhalten. Auch Zwangsarbeit ist in Ungarn mittlerweile fester Bestandteil der herrschenden Politik. Wer die Közmunka, die „gemeinnützige“ Arbeit verweigert oder das Programm unentschuldigt abbricht, verliert drei Jahre den Anspruch auf jegliche staatliche Zahlung (Sozialhilfe im Monat um die 90 EUR). Auch innerhalb dieser Programme wird der Rassismus manifestiert. Zur Erledigung der harten Arbeit werden meist Roma herangezogen, denen „weiße“ AufseherInnen übergeordnet werden. Politische und ökonomische Disziplinierung ist das Schlagwort der Stunde.
Irland wird als Musterexemplar der Umverteilung von unten nach oben hochgelobt und will Ende 2013 wieder vollständig an die Finanzmärkte zurückkehren. Zwar gibt es in Irland kaum Proteste, auch keine nennenswerten faschistische Tendenzen, aber auch hier stagniert die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa 30%, viele junge Menschen verlassen das Land und auch der Haushaltsplan für das kommende Jahr sieht massive Beschneidungen vor. Sie trifft vor allem Alte und Kranke. So sollen die freie medizinische Versorgung eingeschränkt und die Rezeptgebühr um zwei Drittel erhöht werden. Auch Alkohol und Zigaretten sollen noch höher besteuert werden.
In Portugal haben die BürgerInnen der Regeierungspartei bei den Kommunalwahlen eine klare Absage erteilt. Ein großer Teil ging gar nicht wählen oder gab leere Zettel ab, viele andere wählten die „Sozialisten“. Auch in Portugal leiden die Menschen massiv. Immer mehr müssen betteln gehen und haben schlichtweg nicht genug zu essen.

Agenda 2010 und andere Exportschlager

Und wir hier in Deutschland? Sitzen wir auf einer Wolke, von der wir herunterblicken und warten bis hier auch irgendetwas passiert? Bei Weitem nicht! Die Programme, die jetzt anderen Ländern aufgezwungen werden, fanden hier in der BRD ihren Ausgansgpunkt. Die „Agenda 2010“ soll nun Modell stehen für die „Agenda 2020“, die weiterhin für die Verarmung etlicher Menschen und die Beschneidung sämtlicher Arbeitsrechte verantwortlich sein wird. Die ArbeiterInnenklasse hat diese Politik hier nicht ausreichend bekämpft. Es bleibt zu hoffen, dass sich dies auf europäischer Ebene ändern wird. Die Auswirkungen der Krise kommen in die BRD zurück – auch wenn in dosierterem Ausmaß als in anderen Ländern. Ein Beispiel: Das Steigen der Mieten hier ist ein Produkt der Situation auf den europäischen Märkten. Nichts bringt momentan so hohe Renditen wie die Investition in Immobilien und mit Hilfe der Mieten, die wir gezwungen sind zu zahlen, lässt sich noch ein gutes Stück mehr an der Gewinnschraube drehen. Weiterhin wird auch das Erstarken der FaschistInnen Auswirkungen auf unser Wirken hier in der BRD haben. Einige AnhängerInnen der „Goldenen Morgenröte“ wandern nach Deutschland aus und vernetzen sich zunehmend mit den hiesigen Nazistrukturen, wie das Beispiel des Parlamentsbesuches von Schmaus und Fischer (Bürgerinitiative Ausländerstop/Freies Netz Süd) in Griechenland zeigen. Sie waren offizielle Gäste der „Goldenen Morgenröte“. Und auch in Nürnberg gibt es bereits vereinzelte Sichtungen vom Auftreten griechischer Nazis. Wenn griechische Nazis griechische GenossInnen bedrohen, wie in Krefeld geschehen, ist es die Aufgabe der hiesigen Linken den GenossInnen zur Seite zu stehen. Und schon ist die Krise, die für viele Linke hier so weit weg wirkt, auf einmal direkt vor der eigenen Haustür. Mietkämpfe, Flüchtlingskämpfe, antimilitaristische und antifaschistische Kämpfe, die wir hier vor Ort führen, hängen immer auch zusammen mit den aktuellen Krisenentwicklungen. Und wenn wir sie eben in diesem Kontext verstehen, werden wir auch sehen, dass wir auch jenseits von Protesten zu Gipfeltreffen etc. die Kraft unserer Kämpfe entfalten können. Tag für Tag, Jahr um Jahr…

Erschienen in barricada – November 2013