Die Euro-Krise – Eine Chance fuer die radikale Linke?

Die Krise geht um. Das zwar nicht erst seit gestern, aber die aktuellen Ereignisse in Europa machen deutlich, dass die sogenannte „Finanzkrise??? ab 2007 nach 2009 nahezu nahtlos in die nächste überging.
Nur zwei Jahre nach der Wahl ist die griechische Regierung am Ende. Der sozialdemokratische  Premierminister Griechenlands, Georgios Papandreou, hatte willig die Rolle des Vollstreckers der Profitinteressen der Banken und Konzerne übernommen und als Bluthund vor allem deutsch-französischer Wirtschaftsinteressen gewütet. Seine Regierung verpasste der griechischen Bevölkerung eine Sozialkürzung nach der anderen. Papandreous PASOK war 2009 mit einer komfortablen Mehrheit in das griechische Parlament gewählt worden. Davon ist, fast genau zwei Jahre nach den Wahlen, kaum noch etwas übrig. Interne Streitereien und vor allem der immense politische Druck auf der Straße durch Proteste und Streiks, haben das elendige und ökonomisch aussichtslose Sparregime der griechischen Sozialdemokraten zu ihrem erwartbaren Ende gebracht. Mit der plötzlichen Ankündigung einer Volksabstimmung über das aktuelle Sparpaket machte sich Papandreou zu guter Letzt völlig lächerlich. Zuerst hatte er gegen massivste Widerstände der Bevölkerung jede einzelne Sozialkürzung als absolut notwendig dargestellt, um dann plötzlich auf die Idee zu kommen das Volk zu fragen? Eine pure Verzweiflungstat, denn die Meinung des Volkes, das ihm wohl mehrheitlich eher lieber den Hals umdrehen würde, wollte Papandreou wahrscheinlich als Letztes hören. Ihm stand das Wasser bis zum Hals, denn die drastischen Sparmaßnahmen der letzten zwei Jahre zu Lasten der Lohnabhängigen konnten die jahrzehntelange Korruption der griechischen Eliten und die Ausblutung der griechischen Volkswirtschaft durch die herrschende Klasse Europas natürlich nicht ausgleichen. Nur wenige Stunden nachdem Papandreou das Plebiszit ins Spiel gebracht hatte, ruderte er dann auch zurück, nachdem die Vertreter der anderen europäischen Staaten ihn deshalb gemaßregelt und die geplanten Millardenhilfen erstmal auf Eis gelegt hatten. Auch, dass das Kapital über sinkende Börsenkurse Missbilligung signalisierte und Papandreous sozialdemokratische Parteifreunde ihm die Unterstützung verweigerten, dürfte zum irren Verhalten des gescheiterten Krisenverwalters beigetragen haben. Zumindest ein Gutes hatte das Ganze aber: Jegliche Bedenken, dass es in Europa so etwas wie Volkssouveränität geben könnte, wurden von einem Tag auf den anderen weggewischt.
Papandreou nachfolgen soll eine „Regierung der nationalen Einheit???, in der sich die ArbeiterInnenverräterInnen der PASOK mit der korrupten, rechten Nea Dimokratia zusammentun. Beide spekulieren natürlich aber eher auf die geplanten Neuwahlen in vier Monaten. Im Gespräch für das Ministerpräsidentenamt in der Übergangszeit ist auch der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Lucas Papademos. Ändern wird sich dadurch natürlich erstmal nichts. Weder die Übergangsregierung, noch eine durch Neuwahlen gebildete Regierung aus einer oder gar den beiden großen bürgerlichen Parteien wird grundsätzlich etwas ändern können oder wollen an der Tatsache, dass Griechenland völlig am Gängelband des europäischen Kapitals hängt. Die anderen Staaten drängen auf eine baldige Umsetzung der nächsten Sparmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung und halten zugesagte Milliardenhilfszahlungen bis dahin zurück. Auch dass nach den Neuwahlen eine linke, antikapitalistische Partei die Regierung bilden könnte ist nahezu ausgeschlossen. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), die derzeit im Parlament sitzen, wären auch schlecht beraten, sich an der „Krisenlösung“ in irgendeiner Form zu beteiligen. Eine Koalition zur Krisenverwaltung aus PASOK und Nea Dimokratia ist außerdem das beste, was der griechischen Linken zu wünschen ist. Da beide Parteien auf Kosten der Bevölkerung den Kapitalismus beibehalten möchten, könnte sich eine antikapitalistische Opposition als bessere Alternative zum bürgerlichen Programm der „großen??? Parteien präsentieren.

Zerstrittene griechische Linke

Leider ist die griechische Linke weiterhin zerstritten und auch an einer kollektiven Vision, wie die Alternative zum Krisenverwaltungsregime im Kapitalismus aussehen könnte, fehlt es. Der Generalstreik im Oktober zeigte die massive Unzufriedenheit in der griechischen Bevölkerung durch die hohe Beteiligung:
Heike Schrader berichtete in der Tageszeitung Junge Welt vom 20. Oktober 2011: „Nach Gewerkschaftsangaben lag die Beteiligung in allen Bereichen zwischen 80 und 100 Prozent. Behörden, Schulen und Banken blieben geschlossen, in den Krankenhäusern wurden nur Notfälle versorgt. Während die Schiffe durch einen Streik der Seeleute bereits seit Montag in den Häfen liegen, blieben gestern auch die Züge in den Bahnhöfen. Zu Behinderungen kam es ebenfalls im Flugverkehr, da sich die Lotsen am Streik beteiligten. Dem Ausstand der Lohnabhängigen hatten sich die Inhaber von Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben sowie Selbstständige angeschlossen, nachdem bei vorangegangenen Generalstreiks die Aufforderung des Einzelhandelsverbands an seine Mitglieder, die Läden geschlossen zu halten, nur spärlich befolgt worden war. Diesmal jedoch hatte man am Mittwoch nicht nur im Zentrum, sondern auch in den übrigen Stadtteilen der Hauptstadt überwiegend die Rollläden heruntergelassen. Nur die MitarbeiterInnen des öffentlichen Nahverkehrs in Athen und die JournalistInnen des Landes arbeiteten auf Hochtouren. Die einen, um die nach unabhängigen Medienangaben mehreren hunderttausend Demonstranten ins Zentrum der Hauptstadt zu bringen, die anderen, um über die überall im Land stattfindenden Streiks zu berichten.???
Doch am 20. Oktober wurde auch offenbar, welche großen Widersprüche es in der griechischen Linken gibt. Vor dem griechischen Parlament bekämpften sich in einer Straßenschlacht jene, die gemeinsam die Politik der amtierenden Regierung ablehnen. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hatte zusammen mit der ihr nahestehenden Gewerkschaftskoordination PAME (All Workers Militant Front) den Zugang vor dem Parlament blockiert. Ihrer eigenen Darstellung nach wurde sie deshalb von anderen DemonstrantInnen militant mit Molotowcocktails, Tränengas, Blendgranaten und Steinen angegriffen. Die vorwiegend anarchistischen Gruppen, die sich bisher zu der Straßenschlacht geäußert haben, werfen der KKE dagegen vor, mit ihrer Aktion das Parlament vor der Stürmung durch DemonstrantInnen geschützt zu haben und mit der Polizei gemeinsame Sache zu machen. Die KKE nennt ihre vermuteten Widersacher „anarchofaschistische Gruppierungen???, während unter anderem griechische AnarchistInnen der KKE widerum vorwerfen, üble StalinistInnen zu sein. Am 20. Oktober zeigte sich, dass beide Seiten keinesfalls zimperlich miteinander umgehen. Eine Spaltung der Bewegung, wie sie ohne Zweifel den angeschlagenen Herrschenden in Griechenland gerade Recht sein kann. Wie es jedoch weiter gehen soll mit dem Widerstand gegen die Sparpolitik, ob sich daraus gar eine revolutionäre Perspektive ableiten lässt, bleibt weiter unklar. Die Beteiligung an den Streiks und Protesten ist zwar sehr hoch, die Militanz in allen Spektren des Protestes sehr ausgeprägt, aber was der nächste Schritt sein könnte, darüber scheint es keine Klarheit zu geben.

Es mangelt an revolutionärer Strategie

Das kann eigentlich aber auch nicht verwundern, stehen doch heute die meisten radikalen Linken in Europa der Krise eher ratlos gegenüber. Denn obwohl der Kapitalismus in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten steckt, kann die radikale Linke in vielen EU-Ländern kaum Praxis zu dieser Entwicklung vorantreiben. Zugespitzt formuliert: Weder hat sie durch soziale Kämpfe das Kapital in die Defensive getrieben, noch organisiert sie „die Massen“ gegen die kapitalistischen Angriffe. Während ein EU-Land nach dem anderen in Richtung Staatspleite abdriftet und schon drastische Angriffe auf soziale Errungenschaften erfolgt sind, fehlt es bei den radikal linken Gruppen und Organisationen an einer fassbaren Vorstellung, wie ein Leben jenseits der kapitalistischen Krisenverwaltung aussehen könnte und vor allem, wie man da hin kommt.
Dies wäre umso wichtiger, da jeglicher Versuch, die aktuelle Krise innerhalb des Kapitalismus zu lösen, entweder von vornherein zum Scheitern verurteilt ist oder zu noch größerer Ausbeutung, vielleicht sogar zu einer drastischen Ausweitung von Kriegen führen wird. Wenn die Entwicklung so weiter geht, wird es selbst in jenen Ländern, die momentan noch wenig angeschlagen erscheinen, nicht wieder zu einem dauerhaften Aufschwung kommen, sondern auf mittelfristige Sicht ist für große Bevölkerungsteile der kontinuierliche soziale Abstieg abzusehen sein. In Deutschland zum Beispiel stagnieren oder sinken die Reallöhne seit Jahren, im europaweiten Vergleich sogar auffällig stark. Hauptsächlich verursacht wird dies einerseits durch die gemeinschaftliche Krisenverwaltung von Staat und DGB-Gewerkschaften, letztendlich zugunsten des Kapitals, andererseits durch die ebenfalls kaum von den DGB-Gewerkschaften bekämpfte Ausweitung des Niedriglohnsektors. Diese bereits stattfindende Deklassierung großer Bevölkerungsteile führt zur Zeit in Deutschland eher zu Passivität der Betroffenen als zu sozialen Kämpfen. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass weder klassische VertreterInnen wie Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, noch die radikale Linke eine lohnende Perspektive für Kämpfe aufzeigen können, geschweige denn tatsächlich vor Ort in tatsächlichen Widerstand verwandeln. Während diese langsame Verelendung zwar noch nicht für alle sichtbar zu einer umfassenden Krise geführt hat, wird auf lange Sicht die deutsche Exportwirtschaft, die sinkende Binnennachfrage nicht mehr ausgleichen können. Davon geht auch der gemeinsame  Kongress „Wo bleibt mein Aufschwung??? des Bündnisses „Wir zahlen nicht für eure Krise??? und ver.di-Stuttgart aus.
„Der ‘deutsche Weg aus der Krise,’??? heißt es in der verabschiedeten Erklärung des Kongresses vom 10. Juli „das ‘Krisenmanagement des Burgfriedens zum Niederkonkurrieren anderer Volkswirtschaften’, löste die Probleme nur scheinbar und vorübergehend. Lohn- und Sozialdumping ermöglichen gewaltige Exportüberschüsse, aber sie führen zu massiven Kaufkraftverlusten.
Der ‘Export-Überschuss-Ausweg’ führt logischerweise zu unausgeglichenen Handelsbilanzen und damit zu dramatischer Verschuldung der Importländer. Immer mehr Schulden werden aufgehäuft, die niemals zurückgezahlt werden können. Die erzwungenen Einsparmaßnahmen führen (in den Schuldnerländern noch mehr als in Deutschland) zu zusammenbrechender Massenkaufkraft. So wird auch der Export-Ausweg zugebaut und gleichzeitig die nächste Spekulationsblase aufgebaut. Die Krise kommt mit doppelter Wucht zurück, als Überproduktions- und als Finanzkrise.???

Im Kapitalismus kann die Krise nicht gelöst werden

Ein Ausweg aus den Krisen des Kapitalismus kann nur die Abschaffung desselben und der Aufbau einer solidarischen Gesellschaft sein. Selten in der Geschichte der Warengesellschaft war das so offensichtlich wie heute. Die auf Konkurrenz beruhende kapitalistische Gesellschaft ist unmenschlich und kann die ökonomisch Schwachen weder integrieren noch dauerhaft ruhig stellen. Sie führt außerdem zu gigantischen Werteverlusten und zu einer ganze Staaten vernichtenden Konzentration des Kapitals. Die Bevölkerungen der Staaten sollen die Zeche zahlen für ihre verschuldeten Staatsapparate, die widerum der Kapitalistinnenklasse ihre Profite garantieren, obwohl diese nicht nur gegen die Interessen der Mehrheit der Menschheit handeln, sondern genaugenommen gegen jeden menschlichen Selbsterhaltungstrieb. Die radikale Linke täte gut daran, diese offensichtlichen Fakten so gut wie möglich zu popularisieren, denn der Klassenfeind schläft nicht. Die Hetze gegen die „faulen Griechen“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie schnell es den Herrschenden gelingen kann, aus der Defensive in die Offensive zu kommen. Waren Banker und anderes neoliberales Gesockse nach der Krise 2007-2009 noch die Buh-Männer, die auf Kosten der Bevölkerung vorläufig aus der selbstverschuldeten Misere gerettet wurden, sind sie heute an der Rettung der „faulen Griechen“ beteiligt. Die Schuld derer, die sich am menschenfeindlichen Kapitalismus bereichern, wird auf jene abgewälzt, die für die Profite der Reichen bluten müssen. Dass das meist gut funktioniert, weiß jeder, der sich noch außerhalb reiner Szene-Zusammenhänge bewegt. Auch wenn die VertreterInnen der KapitalistInnenklasse auch weiterhin in der Rest-Bevölkerung keinen guten Stand haben, reicht doch die rassistisch-nationalistische Hetze gegen „die anderen“ meist aus, um die berechtigte Wut der vom sozialen Abstieg bedrohten zu kanalisieren – weg vom Aufstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung, hin zu reaktionären Denkmustern.
Die radikale Linken muss sich diesen reaktionären Erklärungsmustern und Versuchen der herrschenden Klasse, von ihrer Macht- und Profitgier abzulenken, rhetorisch und praktisch in den Weg stellen. An der gesellschaftlichen Basis müssen rassistische, patriarchale, antisemitische und andere Ressentiments kontinuierlich bekämpft und gleichzeitig kurz- und langfristige antikapitalistische Perspektiven eröffnet werden. Wie schon öfter in dieser Zeitschrift betont, kann sich sozialer Widerstand nicht allein an der ebenfalls notwendigen Propaganda und symbolischen Aktionsformen entzünden, sondern es braucht vor allem wirkliche soziale und ökonomische Kämpfe. Diese Kämpfe selber zu führen und dabei an Breite zu gewinnen setzt aber immer noch bei großen Teilen der radikalen Linken ein Umdenken und eine Modifizierung der Praxis voraus. Eine radikale Linke, die sich dieser Herausforderung verschließt, wird nicht ihre Rolle als radikalstes und revolutionäres Element in konkreten Klassenkämpfen spielen können, sondern im Symbolischen, bei der Propaganda und bei Interventionsversuchen verbleiben.
Alle Gruppierungen der revolutionären Linken, die in der Vergangenheit auf Klassenkampf und eine richtige Kritik des Kapitalismus gesetzt hatten, stehen jetzt nicht in der Pflicht, kreativ neue Theorien zu produzieren. Auch wenn es manchem/r vielleicht etwas langweilig erscheint: Grundsätzlich kann diese richtige Kritik einfach fortgesetzt und gegen diejenigen verteidigt werden, die den Kapitalismus reformieren und retten wollen. Massenkämpfe um die (Wieder)aneignung von Land, öffentlichen Gütern, Rechten, Produktionsstätten usw. können klein beginnen. Sie brauchen neben der revolutionären Perspektive die richtigen Forderungen und Ziele. Naheliegend ist hier ein Gegenangriff, also nicht alleine die Weigerung, die Kosten der Krise zu tragen, sondern die Weigerung, die Massenenteignungen und -entrechtungen (wie Privatisierungen, Hartz 4 usw.) weiter zu tragen.
Außerdem kann die Parole „Wir zahlen nicht für eure Krise??? konkretisiert werden. Sämtliche Konjunkturpakete, Bürgschaften usw., aber auch Kurzarbeit und Geldgeschenke, mit denen die Staaten den KapitalistInnen die Krise abfedern, werden ja mit Geld bezahlt, das die Herrschenden jetzt oder in der Zukunft von uns einzutreiben gedenken. Daher liegt die Forderung nach einer Konfiskation der Kapitalvermögen, Enteignung von Großgrundbesitz und Banken sowie nach der Vergesellschaftung der Industrie nahe. Auch hier gilt: Die Wiederaneignung kann auch im Kleinen beginnen oder in Teilbereichen wie dem öffentlichen Personennahverkehr. Die Argumentationshilfe für diese Forderungen liefern die Herrschenden und ihre PolitikerInnen derzeit selbst.
Lange nicht mehr standen die Chancen so gut, die Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung aufzeigen und dabei Gehör zu finden. Die einzige Chance der Herrschenden, ohne soziale Revolution aus dieser Lage herauszukommen ist die erfolgreiche Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Damit dürfen wir sie nicht durchkommen lassen!

Erschienen in barricada – November 2011