Das war der 1. Mai 2010

revolutionäre 1. Mai Demonstration in Nürnberg stop 2500 Menschen beteiligen sich an der Demo stop lokale Mobilisierung überschattet von faschistisch motiviertem Mordversuch an einem 17 jährigen Antifaschisten stop Empörung über die Rolle der lokalen Polizei und ihr Verhalten macht sich in einer Auseinandersetzung mit Sondereinheiten in Gostenhof Luft stop auch in zahlreichen anderen Städten finden eigenständige Demonstrationen der revolutionären Linken statt stop faschistische Gruppierungen versuchen wie in den vergangenen Jahren, mit staatlicher Genehmigung in mehreren Städten Aufmärsche durchzuführen stop starke antifaschistische Proteste und Blockaden sind die Folge stop alles weitere erfahrt ihr im folgenden Artikel …

Nürnberg im Vorfeld des 1. Mai

Der vollmundigen Ansage des bayrischen NPD- Vorsitzenden Ralf Ollert, der für den 1. Mai einen Aufmarsch in Nürnberg angekündigt hatte, folgte einige Wochen vor dem 1. Mai ein klein lauter Rückzieher. Nachdem seine ehemaligen Parteikameraden, jetzt Freies Netz Süd, beschlossen hatten, der Konfrontation mit den schon zahlenmäßig weit überlegenen AntifaschistInnen in Nürnberg auch in diesem Jahr aus dem Weg zu gehen, blieb der NPD nichts anderes übrig, als den Aufmarsch abzusagen, wollte sie sich mit ihren kümmerlichen personellen Restbeständen am 1. Mai vor Ort nicht völlig der Lächerlichkeit preisgeben.
Nachdem die Frage, wem in Nürnberg die Straße am 1. Mai gehört, so ein weiteres mal eindeutig geklärt war, stand der Weg erst einmal frei, für eine revolutionäre Mobilisierung, bei der eine umfassende Kritik der herrschenden kapitalistischen Verhältnisse eindeutig im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stehen konnte und nicht drohte durch antifaschistische Notwendigkeiten teils überdeckt zu werden.
Routiniert machten sich die organisierte autonomie (OA) und das von ihr initiierte, die Demo tragende, revolutionäre Bündnis aus zahlreichen Gruppen, Organisationen und Initiativen an die Mobilisierung.
Mit dem fragend formulierten Aufruf-Motto: „Warum nicht … Kapitalismus abschaffen – Für die soziale Revolution“ sollte ein Anstoß gegeben werden, über das nachzudenken, was für die Mehrheit der Unzufriedenen bis heute noch undenkbar erscheint: Die Möglichkeit, eine Perspektive jenseits der krisenhaften Ordnung aus sozialer Unsicherheit, Ausbeutung und Unterdrückung, die der herrschende Kapitalismus darstellt, zu erkämpfen.
Neben dem zentralen Aufruf zur Demonstration, gab es wie in den vergangenen Jahren, einen Aufruf vom Jugendbündnis, in dem unter anderem die Autonome Jugend Antifa (AJA) und die revolutionär organisierte jugend aktion (roja) mitarbeiten, der auf die spezifischen Interessen von Jugendlichen einging.
Die Mobilisierung lief über Verteiltouren in Zentren, bei Konzerten und in Gaststätten. Es gab Infotische, Postwurfsendungen und eine Promotour mit Lautsprecherwagen die vor zahlreichen Schulen halt machte.

Ein faschistischer Mordversuch im Vorfeld des 1. Mai?

Mitten in die Mobilisierung platzte dann die Nachricht, dass laut Polizeibericht ein 17 jähriger am Plärrer im U-Bahnhof halbtot geprügelt wurde und nach mehrfacher Reanimation im Koma liegt. Ansonsten hatte die Polizei nichts zu sagen und in der Lokalpresse unterblieb auch das übliche Gerede gegen Kriminelle (Ausländer, Jugendliche etc.), was sich auch nicht änderte, nachdem sich der Täter, ein 24-jähriger Fürther am Tag darauf stellte.
Nach einigen Recherchen war klar, dass es sich bei dem Opfer um einen jungen Nürnberger Antifaschisten mit Migrationshintergrund handelt. Der Verdacht lag nach dieser Erkenntnis nahe, dass hier irgendetwas nicht stimmt, dass die lokale Polizei, die beides verschwiegen hatte, einmal mehr versucht einen rassistischen oder faschistischen Tathintergrund unter den Teppich zu kehren.
Um dies zu verhindern und Klarheit zu schaffen, gründete sich ein breites Bündnis aus zahlreichen Gruppen, Initiativen und Organisationen, mit dem Ziel Druck auf die Verantwortlichen auszuüben und die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Am Vorabend des 1. Mai zog eine von der Antifaschistischen Linken Fürth (ALF) initiierte und länger vorbereitete antikapitalistische Demonstration, an der sich ca. 400 Menschen beteiligten, spontan vor die Fürther Polizeiwache. Alle am Demobündnis beteiligten Gruppen und Organisationen, forderten die Verantwortlichen auf ihre Erkenntnisse über den Tathintergrund und den Täter offenzulegen. Die Polizei schwieg.

Die revolutionäre 1. Mai Demo – das Geständnis der Polizei – handfeste Auseinandersetzungen in Gostenhof

Bis zum 1. Mai, hatten sich die Hinweise  verdichtet, dass es sich bei dem Täter, um einen Nazi handelt. Im konkreten Verdacht stand der bekannte Fürther Faschist Peter Rausch, der immer wieder durch Übergriffe auf AntifaschistInnen aufgefallenen ist. Rausch ist Mitglied im nationalsozialistischen Freien Netz Süd, gilt als extrem gewalttätig, und konnte trotz Vorstrafen, in der jüngsten Vergangenheit unter den Augen der Fürther Polizei gegen AntifaschistInnen handgreiflich werden, ohne dass diese einschritt. Die Polizei schwieg weiterhin obwohl der öffentliche Druck enorm angewachsen war.
Entsprechend aufgeheizt war die Stimmung bereits zum Auftakt der revolutionären 1. Mai Demonstration. Die USK-Sondereinheiten der Nürnberger Polizei schürten die Stimmung durch massiv durchgeführte Vorkontrollen mit den üblichen Schikanen weiter an. Absperrung aller Zugänge zur Auftaktkundgebung in Gostenhof, Ausweiskontrollen, Durchsuchungen, durchwühlen von Taschen, das lesen persönlicher Notizen, alles was eben seit Jahren zur schikanösen Einschüchterungsstrategie der Polizei gegenüber den TeilnehmerInnen dieser Demonstration gehört.
Nach Redebeiträgen, von verschiedenen am Bündnis beteiligten Gruppen und Organisationen und einem kurzen Auftritt des Rappers Holger Burner, gab ein Sprecher der organisierten autonomie (OA) das Startsignal und der Zug machte sich auf den Weg. Erstes Ziel: Das Polizeipräsidium Mitte. Über die Lautsprecherwägen wurde die Polizei immer wieder aufgefordert, mit der Vertuschungspolitik Schluss zu machen und die Wahrheit über den Mordversuch am Plärrer offenzulegen. Weiter wurde auf die lange Kette unter den Teppich gekehrter und unaufgeklärter faschistischer Übergriffe in Nürnberg und Fürth hingewiesen.
Unmittelbar vor dem Polizeipräsidium knickte die Einsatzleitung schließlich ein und übergab dem Anmelder der Demonstration eine  Pressemitteilung, nach dieser ein Angehöriger der rechtsextremen Szene in Fürth am Plärrer mit einem Linken aneinander geraten sei. Form und Inhalt des Schreibens, gaben nun, nachdem klar war, dass eine Vertuschung gescheitert war, eine neue Linie der Behörden im Umgang mit dem faschistischen Mordversuch vor. Der Fall sollte getreu der Extremismustheorie, als für den Normalbürger eh nicht nachzuvollziehender Streit unter „Extremisten“ dargestellt werden.
Die Stimmung gegenüber den, den Demonstrationszug begleitenden Polizeisondereinheiten verbesserte dieses Geständnis wenig, und auch die Gleichsetzung von FaschistInnen und AntifaschistInnen sorgte eher, für ein Anwachsen der lange angestauten Empörung über das Verhalten von Staat und Polizei gegenüber dem faschistischen Terror in der Region.
Unter Parolen, und kürzeren Beiträgen aus den Lautsprecherwägen, ging es weiter durch die Innenstadt, vorbei an der Abschlußkundgebung des DGB, wo sich einige Menschen der vorbeiziehenden, für antikapitalistische Positionen werbenden, Demonstration anschlossen. Nach einer Zwischenkundgebung, in deren Rahmen u.a. auf Umstrukturierungsmaßnahmen im Stadtteil Gostenhof und die Kündigung des Stadtteilladens Schwarze Katze eingegangen wurde, erreichte die im Verlauf auf über 2500 TeilnehmerInnen angewachsene Demo das internationalistische Straßenfest. Unmittelbar nach der Ankunft der Demonstration, kam es in der Nähe des Straßenfestes, nach einem Wortwechsel zwischen TeilnehmerInnen und zwei provozierenden Zivilpolizisten, zu einer heftigen Auseinandersetzung, mit wild um sich prügelnden Polizeitrupps. In deren Verlauf wurde eine brennende Barrikade in der Adam Klein Straße errichtet und die Polizei mit Steinen und Knüppeln von Militanten auf Abstand zum Straßenfest gehalten. Nachdem die Polizei sich schließlich zurückzog, beruhigte sich die Lage rund um das Straßenfest. Es kam in Gostenhof jedoch bis in die Nacht immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen mit weiterhin provozierenden Polizeieinheiten. Im Zuge der polizeilichen Knüppeleinsätze kam es zu zahlreichen Verletzungen und einigen Festnahmen. Die Polizei spricht in einer von ihr herausgegebenen Pressemitteilung von 13 verletzten Beamten.

Auch der DGB mobilisierte in Nürnberg zu einem Umzug

Bereits in den Morgenstunden des 1. Mai startete in der Südstadt der Demonstrationszug des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Etwa 1500 Menschen waren dem durch die kapitalistische Realität überholten Motto: „Wir gehen vor! Gute Arbeit – Gerechte Löhne – Starker Sozialstaat“ gefolgt und zogen zum  Gewerkschaftshaus. Auch im Rahmen dieser Demonstration wurden Flugblätter des, zur Aufklärung des faschistischen Übergriffs am Plärrer, gegründeten Bündnisses verteilt. Aktiv waren hier vor allem im neu gegründeten Bündnis organisierte MigrantInnengruppen, die seit Jahrzehnten an der Demo des Gewerkschaftsbundes beteiligte sind. Vom DGB – Vorsitzenden Stefan Doll forderten sie auf der Kundgebung einen Redebeitrag zum Thema halten zu können, was dieser ablehnte. Erst unter massivem Druck zahlreicher Gruppen, erklärte er sich bereit, selbst von der Bühne aus, auf den faschistischen Mordversuch einzugehen. Sein Versprechen hielt er nicht, erst nach einer weiteren massiven Intervention äußerte er sich während der Abschlußkundgebung. Unter Verweis auf Polizeiinformationen sagte er dort, dass ihm und dem Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) keine Erkenntnisse über einen rechtsextremistischen Hintergrund des Täters bekannt seien. Das es auch anders geht und GewerkschaftsfunktionärInnen den eigenen Kolleginnen mehr Vertrauen entgegenbringen können, als der Polizei und dem Oberbürgermeister, bewies derweil eine RednerIn der Gewerkschaftsjugend. Im Rahmen der Kundgebung ging sie in ihrem Beitrag ausgiebig auf den Fall ein und forderte die Polizei auf, sich zu den Hintergründen zu äußern.

Revolutionäre 1. Mai Demonstrationen und andere eigenständige Initiativen in zahlreichen Städten

In Stuttgart, Oldenburg, Duisburg, Karlsruhe, Hamburg, Rosenheim, Wuppertal, München, Fürth und zahlreichen weiteren Städten wurden in diesem Jahr eigenständige, revolutionäre 1. Mai Demonstrationen oder mit Rücksicht auf antifaschistische und andere Mobilisierungen Vorabenddemonstrationen durchgeführt. In den Aufrufen, wie vor Ort  war die Krise und ihre Folgen das beherrschende Thema. Die Beteiligung an den Demonstrationen schwankte zwischen einigen hundert und mehreren tausend TeilnehmerInnen. Die mit Abstand größte revolutionäre Demonstration fand in Berlin statt, an der sich bis zu 15 000 Menschen beteiligten.
Sicher, genaue TeilnehmerInnenzahlen sind immer schwer zu schätzen, es ist aber davon auszugehen, dass sich allein an den revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in der BRD in diesem Jahr über 25 000 Menschen beteiligten. Hinzu kommen die Teilnehmenden an den Euromaydayumzügen, revolutionäre Blöcke die sich in Berlin, Köln, Hannover und vielen weiteren Städten an den Demonstrationen des DGB beteiligten und die von radikalen Linken getragenen antifaschistischen Aktivitäten.
Alles zusammengenommen kann die Mobiliserung der radikalen Linken zum 1. Mai, also allein in personeller Hinsicht, unter den derzeit in der BRD herrschenden Bedingungen, durchaus als Erfolg gewertet werden.
P.S.Neben den Zusammenstößen mit der Polizei in Nürnberg, kam es auch in Hamburg und Berlin am 1. Mai zu größeren Auseinandersetzungen mit den Hütern der kapitalistischen Ordnung, wobei der 1. Mai in Berlin trotz einigen Polizeiübergriffen in diesem Jahr verhältnismäßig ruhig verlief.

Faschisten am 1. Mai in der Defensive

Um die Berichterstattung zu vervollständigen, sei auch noch auf die staatlich genehmigten Versuche den 1. Mai als faschistischen Feiertag zu vereinnahmen ein Blick geworfen. Irgendwo zwischen Blut-und-Boden-Wahn, Volksgemeinschaftsideologie und reformatorisch, retardierter Pseudo-Kapitalismuskritik bewegen sich inhaltlich weiterhin die Aufmarsch-Aufrufe jener faschistischen Grüppchen, Parteien und Verbände, deren Vorbilder zwischen 1918 und 1945 ihre Positionierung als Büttel des Kapitals blutig deutlich machten.
Und auch in praktischer Hinsicht knüpfen jene Nazis, die seit einigen Jahren versuchen den 1. Mai für ihre reaktionäre Propaganda zu vereinnahmen, genau an jene Traditionslinie an. Funktion ihrer Aufmärsche ist es, gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, Protestpotential an sich, und damit an die kapitalistische Wirtschaftsweise, zu binden. Durch Aufmärsche am 1. Mai sollen darüber hinaus eigenständige Aktivitäten einer klassenkämpferischen Linken, die auf den Kampf für die eigenen Interessen und die Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung abzielen, durch die Notwendigkeit antifaschistischer Proteste geschwächt, bzw. be- oder verhindert werden. Wo es ihnen staatlicherseits ermöglicht wird  gehen die faschistischen Banden darüber hinaus auch zu offenen Terror über, wie z.B. ein gewalttätiger Angriff auf Gewerkschaftsmitglieder am 1. Mai 2009 in Dortmund zeigte. P.S. Auch die Stadt Dortmund hat nach offizieller Lesart selbstverständlich kein Naziproblem.
Ohne das dabei die revolutionären, eigenständigen 1. Mai Aktivitäten vernachlässigt wurden, sorgten in diesem Jahr jedoch bundesweit engagierte AntifaschistInnen dafür, dass den Nazibanden kein Meter Straße einfach überlassen wurde. So mussten Aufmärsche in Erfurt und Berlin nach Blockaden und militanten antifaschistischen Aktionen abgebrochen werden, in Rostock wurde die Route der Nazis zumindest verlegt. In Schweinfurt und einigen weiteren Städten, setzte die Polizei trotz antifaschistischer Proteste, weitere staatlich genehmigte Aufmärsche von Nazis durch.
Während sich allein in Berlin über 10 000 Menschen an den antifaschistischen Protesten beteiligten, blieb die Zahl der an den faschistischen Aufmärschen Teilnehmenden in diesem Jahr weit hinter den Erwartungen der OrganisatorInnen zurück. Ob sich dieser positive Trend fortsetzen wird bleibt abzuwarten.

Eine Sprecherin der organisierten autonomie (OA) bewertet den 1. Mai als Erfolg:

„Unsere gemeinsame Demonstration existiert seit 1992 und soll der antikapitalistischen Linken und all jenen die sich ihr zugehörig fühlen, die Möglichkeit geben, die eigenen Inhalte auf die Straße zu tragen und für die eigenen revolutionären Standpunkte zu werben. Die revolutionäre Linke hat sich mit dieser klar und eindeutig antikapitalistischen Ausrichtung über die Jahre zu einer festen gesellschaftlich wahrnehmbaren Kraft in der politischen Auseinandersetzung um den 1. Mai in Nürnberg entwickelt. So hat die von uns und den vielen anderen am revolutionären Bündnis Beteiligten getragene Demo, in diesem Jahr sicherlich dazu beigetragen Öffentlichen Druck zu schaffen und den Versuch der Staatsorgane zu unterbinden, den faschistischen Mordversuch an einem 17 jährigen unter den Teppich zu kehren.
Das sich auch in diesem Jahr, 2500 Menschen an der revolutionären Demonstration beteiligten, sehen wir darüber hinaus angesichts der gleichzeitig notwendigen antifaschistischen Mobilisierungen in Bayern als positiv“
Die Sprecherin der OA begrüßte darüber hinaus die Forderung der Polizei, in Zukunft keine Bundesligaspiele am 1. Mai durchzuführen, da diese angeblich zu viele Kräfte binden.
„Da sind wir uns einmal einig! Endlich werden dann auch die vielen unzufriedenen, von Stadionverboten und anderen Repressalien bedrohten Club-Fans an der Revolutionären 1. Mai Demo teilnehmen können, die an diesem Tag bisher oft durch ihre Fußballleidenschaft verhindert waren“ erklärte sie auf Nachfrage der Redaktion.

Erschienen in barricada – Mai/Juni 2010