Das Recht auf nationalsozialistische Propaganda

In Dortmund haben Staat und Polizei erneut einen Naziaufmarsch durchgesetzt

Vor einigen Jahren musste von der antifaschistischen Bewegung nüchtern festgestellt werden: Naziaufmärsche sind wieder normal geworden in Deutschland. Kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendwo in der BRD eine handvoll „autonome Nationalisten“ „Nationaler Sozialismus jetzt jetzt jetzt“ brüllen oder in lächerlicher Aufmachung „dem Volkstod“ trotzen. Während das Gros der Aufmärsche im Einzelfall wenig Bedeutung hat und in vielen Regionen eher das Auftreten von Nazibanden im Alltag das Hauptproblem darstellt, gibt es jedoch auch ein paar wichtige Nazigroßevents. Diese wurden in den letzten Jahren recht erfolgreich von breiten antifaschistischen Bündnissen, in denen auch die radikale Linke eine bedeutende Rolle spielte, angegangen. Neben dem Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel und dem „Trauermarsch“ in Dresden konnte nun auch mehrmals in Folge der „Nationale Antikriegstag“ in Dortmund erfolgreich von AntifaschistInnen gestört werden.

Freilich, verhindert wurde der Aufmarsch auch dieses Jahr nicht. Allerdings wäre dies aufgrund des anscheinend unbedingten Durchsetzungswillens der Polizei und des Staates wohl auch nur schwer möglich gewesen. Mit etwa 5000 PolizeibeamtInnen hatte der Staat  wohl ungefähr so viele bewaffnete Büttel in Dortmund im Einsatz, wie NazigegnerInnen auf den Straßen unterwegs waren. Mit einem Zonen-Konzept wurde ein großes Gebiet rund um den Aufmarschweg der Nazis abgeriegelt. Menschen, die versuchten, diese Zone zu betreten, wurden mit Gewalt daran gehindert, wenn sie zuvor als NazigegnerInnen von der Polizei selektiert worden waren. So resümiert auch das Bündnis „Dortmund stellt sich quer“, das wohl größte Bündnis von den drei Bündnissen, die zu Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch aufgerufen hatte, zu Recht: „Die Polizei in Dortmund hat in Fortsetzung ihrer jahrelangen Tradition den Nazis gegenüber auf Verständnis und den AntifaschistInnen gegenüber auf Eskalation gesetzt. Umso höher ist das stundenlange Engagement der antifaschistischen AktivistInnen zu werten, die trotz Knüppel, Pfefferspray und Wasserwerfern über Stunden die Rote Zone belagert haben, an einzelnen Stellen eindringen konnten und an zwei Stellen Blockaden errichtet und dadurch den Naziaufmarsch verzögert haben. Zugleich prägten lautstarke antifaschistische Demonstrationen stundenlang die Umgebung der Roten Zone. Wir werten es als Erfolg unserer Struktur, mit mehr als 100 Menschen eine die Polizei überraschende Blockade auf der Naziroute organisiert zu haben. Hieran wollen wir anknüpfen und diese Fähigkeiten verbessern. Dazu gehört auch, dass wir weiter trainieren wollen, um noch koordinierter agieren zu können. Zugleich bekräftigen wir, dass wir keine AktivistInnen verheizen wollen – die offene Gewalt der Polizei setzt uns derzeit Grenzen.“

Schutz für die selbsternannten Erben des NS-Staates

Die Nazis, die den Aufmarsch in Dortmund organisieren, gehören wohl zu den am offensten gewaltverherrlichend auftretenden NationalsozialistInnen in der BRD. Im Gegensatz zur NPD, die immer mal wieder rhetorisch zurückrudern muss, erklären die Dortmunder Nazis ganz offen, was sie wollen: Tote AntifaschistInnen. Zahlreiche Anschläge auf alternative Treffpunkte, linke Einrichtungen und bewaffnete Überfälle auch auf Menschen – bei einem starb 2005 der Antifaschist Thomas Schulz – belegen, dass die Dortmunder Naziszene auf einen gewalttätigen Aktivismus setzt. (Der bisher auch relativ unbehelligt von der Polizei geblieben ist, sehr zum Unverständnis bürgerlicher NazigegnerInnen, die sich nicht erklären können, warum die Dortmunder Nazi-Schläger nicht mit dem gleichen staatlichen Eifer wie z.B. „Hartz-IV-Betrüger“ verfolgt werden). Die Rhetorik der Nazis vor dem Aufmarsch zum „nationalen Antikriegstag“ war schon immer provokativ und offen einschüchternd gegen Andersdenkende gerichtet. Vor noch etwa 10 Jahren hätte wohl schon allein dieser Umstand dazu gereicht, dass der Aufmarsch verboten worden wäre. In den letzten Jahren jedoch, gehen sowohl Polizei als auch die Justiz verstärkt gegen NazigegnerInnen vor. Absurderweise immer mit der absonderlichen, ja geradezu idiotischen Begründung, dass zwar Protest gegen Nazis gewünscht und legitim sei, aber der Widerstand dagegen verwerflich. Besonders, weil nicht auf das Wohl der zum Schutz der Nazis abgestellten PolizistInnen geachtet würde, die ja, angeblich keine andere Wahl hätten als den Möchtegern-Erben des Dritten Reiches den Weg frei zu prügeln. Wer sich bei einer solchen Gelegenheit mal die eingesetzten PolizeibeamtInnen anschaut, hat wohl kaum den Eindruck, dass die Prügelkommandos der Polizei da besonders ungern zu Gange wären. Im Gegenteil: Mit hohem Einsatz werden gegen AntifaschistInnen großzügig alle Repressalien eingesetzt, die zur Verfügung stehen: Wasserwerfer, Kampfgase, Freiheitsentzug – alles was geht, wird gemacht. Und auch, was eigentlich nicht geht, wie die massenhafte Handy-Überwachung in Dresden beweist. Ob letzteres in Dortmund auch gemacht wurde ist unbekannt. Schlagstöcke, Wasserwerfer und vor allem chemische Kampfstoffe wurden jedoch recht großzügig, aber sicher mit freiheitlich-demokratischen Bauchschmerzen von der Polizei eingesetzt. Das erinnert uns NürnbergerInnen an den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2008, als die Polizei schweren Herzens mehreren Dutzend NazigegnerInnen den Schädel blutig schlagen musste, damit die so Beschützten frohen Mutes „Schlagt den Roten die Schädeldecke ein“ singend durch Nürnberg ziehen konnten.

Erfreulich ist, dass es für den Staat immer schwieriger wird, das Durchsetzen von Naziaufmärschen zu rechtfertigen. Denn es sind heute wieder mehr Menschen, die nicht aus autonomen Antifa-Zirkeln stammen, bereit, sich an niederschwelligen, aber eindeutig auf Verhinderung von Nazimärschen ausgerichteten Aktionen zu beteiligen. Der Staat reagiert darauf mit großer Härte, auch gegen Teile des bürgerlichen Protestspektrums und versucht in „gute“, also wirkungslose und „schlechte“, also aktivistische und erfolgreiche NazigegnerInnen zu spalten. Als wichtiges Instrument hat sich dabei schon immer die Extremismustheorie erwiesen, deren VertreterInnen heute sogar ganz frech von linken und rechten „Autonomen“ sprechen.

Warum schützt der Staat die NationalsozialistInnen?

Wenn nun der Staat zum Schutz eines Aufmarsches von nicht mehr als ein paar Hundert Nazis 5000 PolizistInnen auffährt, aber noch nicht mal großes Interesse zeigt, die Straftaten derselben Nazis adäquat zu verfolgen, dann fragt man sich schon, warum das so gemacht wird. Die Geschichte hat gezeigt, dass der Faschismus gerade in Krisenzeiten eine Option darstellt, ein Rettungsanker für die Klasse der KapitalistInnen ist, wenn es darum geht die herrschenden Verhältnisse mit Gewalt aufrecht zu erhalten. Klar ist, dass die Nazis, trotz ihres propagandistischen Auftretens, damals wie heute nie gegen den Kapitalismus standen. Der NS-Staat setzte die ökonomische Ausbeutung, rassistische, antisemitische und andere Konstrukte der Ungleichheit, die Definition des Menschen nach seiner ökonomischen Verwertbarkeit auf grausamste und menschenverachtendste Weise um. Übrigens auch mit allerlei juristischem Brimborium, das dem Handeln der Nazis gesetzliche Legitimität verleihen sollte. Heute braucht der Staat die Nazis vor allem zur Definition von LinksextremistInnen. Gäbe es keine Nazis mehr, würde es schwer fallen, Linke so darzustellen, wie es der Staat tut. Unabhängig davon, ob man als Linke oder Linker ganz gut damit leben kann, dass man vom Staat als „Chaot“ oder „gewaltbereiter Extremist“ verunglimpft wird: Ohne Nazis gäbe es so gut wie keine staatlich erfasste „linksextreme Gewalt“. Die meisten vom Staat registrierten Gewalttaten fallen nämlich bei Aktionen gegen Nazis oder Naziaufmärsche an. Umgekehrt richten sich mittlerweile auch die meisten Aktionen von Nazis gegen Linke, was den Effekt noch verstärkt. Für die Repressionsorgane bietet somit die Existenz von Nazis eine sichere Quelle für „linkextreme Gewalttaten“, die dann zur Rechtfertigung der Kriminalisierung linker Strukturen genutzt werden kann. Eine Verfolgung von rechten Straftaten erfordert hingegen meist etwas Nachhilfe und Öffentlichkeitsarbeit von antifaschistischen Strukturen.

Was tun, gegen diesen Mist?

Ziel linker Politik muss es sein, linke, emanzipatorische Politik im Alltag zu verankern. Mehrheiten, vor allem in der Klasse der Lohnabhängigen müssen gewonnen werden. Dabei müssen auch unsere GegnerInnen, und nach dem Staat sind das am offensichtlichsten und spürbarsten die Nazis, bekämpft werden. Doch zuallererst sollte unsere Kritik und unser Kampf gegen die kapitalistischen Verhältnisse gerichtet sein. Und das in einer Weise, der es Nazis unmöglich macht, daran anknüpfen zu können. Das heißt vor allem, sich nicht in Subkulturen zurückziehen sondern im Alltag soziale Kämpfe führen, damit das „Feindbild Linker“ durch den Linken aus der Arbeit/Schule/Nachbarschaft ersetzt wird. Das würde Nazis auch effektiver einschränken, als jede noch so erfolgreiche Blockadeaktion.Dennoch sind Aktionen gegen Naziaufmärsche richtig und wichtig und die AntifaschistInnen die sich am 2. und 3. September in Dortmund trotz der staatlichen Repression aktiv den Nazis entgegen gestellt haben, haben großartige Arbeit geleistet.

Erschienen in barricada – Herbst 2011