Autonomes Bündnis für Recht, Ordnung und Sicherheit.

Kundgebungen in Nürnberg und Fürth

Autonome in Anzug und Krawatte, die gegen Berufschaoten aus Wirtschaft, Politik, Justiz und Polizei wettern? Klar: Das autonome Bündnis für Recht, Ordnung und Sicherheit nutzte wieder einmal die Fußgängerzonen, um der Öffentlichkeit seriöse Informationen über die Verbrechen der herrschenden Klasse zu bieten. Einen Bericht über die Kundgebungen wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Wir werden aber auch einen Blick werfen auf Hintergründe und Stilmittel dieser Aktionen.

Die herrschende Klasse tätet mit Sicherheit!
Nicht zu übersehen waren die Kundgebungen des autonomen Bündnisses am 18.10. vor der Nürnberger Lorenzkirche und am 25.10. in der Fürther Innenstadt. Mit einem  Lautsprecherwagen, ein paar tausend Flugblättern und einer umfangreichen Ausstelllung zu den Verbrechen der Herrschenden und ihres kapitalistischen Systems legte das Bündnis den PassantInnen den Ausweg aus Chaos, Unsicherheit und Unrecht nahe: Nämlich die Selbstorganisierung im Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Nur so könne der täglichen Gefährdung unser aller Sicherheit durch die herrschende Klasse und dem bestehenden Unrechtssystem Einhalt geboten werden. Um die Sicherheitslage der Bevälkerung schon vorher deutlich zu verbessern, forderte das Bündnis, initiiert von der Antifaschistischen Linken Fürth (ALF) und der organisierten autonomie (OA), die Umsetzung eines Sofortmaßnahmenkatalogs. Dieser umfasste u.a. eine Kennzeichnungspflicht und ein Vermummungsverbot für Polizeibeamte, regelmäßige Drogentests bei Polizeieinsatzkräften, Videoübewachung auf allen Polizeidienststellen, Platzverweise für stärende Beamte, welche die urbane Vielfalt durch Schikanen einschränken wollen und natürlich ein sofortiges Verbot der CSU. Viele PassantInnen nahmen die Argumentation mit einiger Zustimmung auf. Man konnte auch den Eindruck gewinnen, dass die bereits in der Vergangenheit erfolgreiche (jetzt aktualisierte) Ausstellung diesmal von noch mehr Menschen als sonst komplett durchgelesen wurde, was immerhin ca. 40 Minuten in Anspruch nimmt.

„Reißen Sie sich zusammen, Herr Engelmann!“

Daneben hatten die Autonomen für Recht, Sicherheit und Ordnung auch noch ein zweiteiliges Bühnenprogramm zu bieten. Die repressive Justiz und speziell die Skandalurteile des Fürther Jugendrichters Engelhardt (sh. Artikel auf Seite 2) waren das Thema einer kurzen satirischen Aufführung in Form eines antifaschistischen Tribunals. Angeklagt war ein Jugendrichter Engelmann, dessen antiemanzipatorische Haltung und seltsames Auftreten stark an Engelhardt erinnerten. Dem merkwürdigen Richter wurden schwerwiegende Vergehen zur Last gelegt. Freiheitsberaubung, Einschüchterung und Bedrohung kritisch denkender Menschen und Hass auf unangepasste Jugendliche waren unter den Anklagepunkten, die von der Antistaatsanwältin überzeugend vorgetragen und von einer Reihe junger AntifaschistInnen im Zeugenstand belegt wurden.
Der Angeklagte hatte während des Tribunals die gesamte Antifa wüst beleidigt und auf die übliche Weise versucht, ZeugInnen einzuschüchtern. Er musste mehrfach von der Vorsitzenden zur Ordnung gerufen werden. Trotzdem blieb das Gericht in seinem Urteil unter der Forderung der Antistaatsanwältin. Unverständlicherweise wurde Engelmann nämlich seine schwere Kindheit angerechnet.
Unter anderem wurde der uneinsichtige Jugendrichter zu lebenslangem Arbeitsverbot in sämtlichen Gerichtssälen der BRD verurteilt. Außerdem wurde ihm zur Auflage gemacht, hundert mal mit Straßenmalkreide „Kriminell ist das System und nicht der Widerstand“ auf das Pflaster zu schreiben. Dieser Auflage kam der Verurteilte umgehend nach. In Fürth führte dies dazu, dass zahlreiche Menschen die Fußgängerzone mit Kreide verschönerten.
„Wir alle haben einen Anspruch auf Recht, Ordnung und Sicherheit.“
Teil des Bühnenprogramms war auch ein Gespräch mit einem Experten der Autonomen für Recht, Ordnung und Sicherheit. Dieser beantwortete kompetent alle Fragen des Interviewers rund um die Verbrechen der herrschenden Klasse und ihres gewaltbereiten Personals. In dem Gespräch wurde thematisiert, wie ihre Kriege und ihr chaotisches kapitalistisches Wirtschaftssystem die Sicherheit und das Leben vieler Menschen bedrohen, wie sie Unrecht aufrechterhalten und eine vernünftige Ordnung verhindern, aber auch das Ausmaß der Polizeigefahr und wie sich die Menschen schützen können, wenn ihnen Berufschaoten aus Politik oder Wirtschaft über den Weg laufen. Unklar blieb lediglich, ob Elemente, die sich den Schutz eines unmenschlichen Systems zur Lebensaufgabe gemacht haben, überhaupt resozialisierbar sind. Das Schlusswort des Experten war: „Wir alle haben einen Anspruch auf Recht, Ordnung und Sicherheit. Dieses Recht macht uns die herrschende Klasse streitig. Damit muss Schluss sein! Wir Autonome (…) kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung ?? für die soziale Revolution. Damit wir alle in einer sicheren und gerechten Welt leben! Dafür stehen die autonomen Gruppen!“

Versuch einer staubtrockenen Analyse
Das verteilte Flugblatt vermittelt ohne Abstriche Positionen der radikalen Linken, ist aber polemisch und unterhaltsam. Das Expertengespräch bedient sich in Form, Aufbau und Sprache bei den Mainsteammedien, die „Experten“ die Möglichkeit bieten, sich mit dem Vokabular von ZoologInnen über Jugendliche, MigrantInnen oder Erwerbslose auszulassen. Das antifaschistische Tribunal gegen den Jugendrichter ist dramaturgisch an die Gerichtsshows der Privatkanäle angelehnt und deckt durch Formentwendung und Umkehrung die Anmaßung und Ungerechtigkeit der wirklichen Gerichte auf.
Um eine reine Spaßaktion handelt es sich dabei natürlich nicht. Die verwendete Ausstellung der Prolos (eine der Basisgruppen der OA) ist mit ihren Tafeln u.a. über die Kriege der Herrschenden, über Polizeigewalt, Patriarchat und Faschismus alles andere als spaßig. Gleiches gilt für die Themen des Flugblattes, des Expertengesprächs und die Hintergründe des antifaschistischen Tribunals. Es geht wohl, zumindest langfristig, darum, die Definitionsmacht der Herrschenden zu brechen. Es geht darum, sich auf die Begrifflichkeiten und Kommunikationsformen der Herrschenden einzulassen, ihre Verwendung als Lüge zu enttarnen und Begriffe zurückzuerobern. Ziel dieser und verwandter Aktionsformen ist es auch, Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft für linksradikale Inhalte selbst bei solchen Menschen zu erhöhen, die sonst eher schwer erreichbar sind. Dies wird möglich durch das Durchbrechen von Erwartungshaltungen, etwa, indem Menschen in Anzug oder dezentem Kostüm radikale Kapitalismuskritik formulieren und für den organisierten Widerstand gegen die Herrschenden und deren Personal werben. Es wird möglich durch eine Kommunikation, die Rücksicht darauf nimmt, dass viele Manschen unseren üblichen Ausdrucksformen und unserem Jargon distanziert gegenüberstehen und Inhalte, denen sie eigentlich zustimmen würden, deshalb gar nicht erst an sich heranlassen. Es zeigt sich, dass auch „Normalos“ von Begriffen wie „herrschende Klasse“ nicht überfordert sein müssen, wenn der Rahmen und die Sprache nicht abschrecken und eine offene Art der Präsentation gewählt wird. Es standen etwa bei den Kundgebungen keine Mengen von Schwarzgekleideten im Halbkreis um den Lauti, sondern durch den Verzicht auf eine Mobilisierung wurde erreicht, dass die PassantInnen sich eingeladen fühlten, näherzutreten, auch ohne dazuzugehören. Nicht zuletzt werden Aufmerksamkeit und Akzeptanz ermöglicht durch eines der stärksten Kampf- und überlebensmittel, das die Unterdrückten besitzen: den Humor und das Lachen.
Dies ist aber natürlich kein Plädoyer dafür, zukünftig auf kämpferische Demos und schwarze Böcke zu verzichten. Warum die meistens Sinn machen und unverzichtbare Mittel bleiben, ist aber ein anderes Thema. Klar ist jedenfalls, dass Agitation und Propaganda zwar verbessert, ausgebaut und in ihrem Rahmen auch angewandt werden müssen, dass der Ausbau anderer Bereiche und Aktionsformen aber mindestens genauso wichtig ist.