Atomausstieg ist Handarbeit

Die Aufkündigung des sogenannten Atomkompromisses durch die Bundesregierung, welche eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke bedeutet, hat die Anti-Atombewegung wieder verstärkt auf den Plan gerufen. Nachdem die Proteste seit 2003 eigentlich eher stagnierten, erlebt die Bewegung in diesem Jahr ein neues Hoch. Eines der Themen, die im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, ist die Endlagerung des anfallenden Atommülls. Immer wieder verkaufen die Herrschenden neue Lagerorte als absolut „sicher“. Bei näherer Betrachtung durch ExpertInnen, stellte sich jedoch immer wieder das Gegenteil heraus, was zu dem Schluss führt, dass es auf Dauer wohl kein sicheres Endlager geben kann.
Und doch war es im November wieder so weit und der Castor rollte von Frankreich nach Gorleben. Diesmal waren massive Proteste angekündigt. Während große Teile der radikalen Linken in den letzten Jahren eher ein gemäßigtes Interesse an der ökologischen Frage zeigten und die AktivistInnen manchmal als Hippies und Ökos belächelt wurden, schaffte es die bundesweite Kampagne „Castor? Schottern“ das Thema wieder attraktiv zu machen. Ziel der Kampagne war es, eine breite Masse von Menschen dazu zu bewegen, sich am Tag X direkt an die Gleise zu begeben und dort den Schotter unter den Schienen zu entfernen, so dass der Castor-Transport nur nach längeren Reparaturarbeiten weiterfahren kann. Die Aktion sollte den Herrschenden vor allem eines klar machen: Eure Entscheidungen sind uns egal. Wenn ihr euch gegen unsere Interessen richtet, gilt für uns nicht länger der Rahmen der Legalität, sondern die Legitimität. Und so gesellten sich mehr und mehr prominente UnterstützerInnen zu den SchottererInnen, wie zum Beispiel die Autorin (zumindest behauptet sie das selbst) Charlotte Roche. Die Kampagne wurde in nahezu allen größeren Städten massiv beworben und im Vorfeld fanden kreative Aktionen statt – so auch in Nürnberg. Eine Gruppe von AktivistInnen zog in Atomschutzanzügen durch die Innenstadt und versuchte einen alternativen Ort für die Endlagerung zu finden. Kleine Mengen an Atommüll wurden den PassantInnen zur privaten Lagerung angeboten. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Doch die meisten der Menschen, die das Anliegen der Aktion verstanden, waren interessiert und solidarisch. Einige schnappten sich auch spontan Flugblätter, um bei den Verteilungen zu helfen.

Anti- Atom 2.0 – Fortsetzung folgt ?!

Das Thema Atompolitik erlebt ein Revival und auch die Proteste waren noch nie so erfolgreich wie in diesem Jahr. In der Nacht von Sonntag auf Montag rollte der Zug keinen Zentimeter und musste mit NATO-Stacheldraht umhüllt vor Dahlenburg übernachten. Die AktivistInnen von „Castor? Schottern“, „x-tausendmal quer“ und „widersetzen“ leisteten ganze (Hand-) Arbeit und bescherten der Politik und der Polizei ein mehr als ungemütliches verlängertes Wochenende. Etwa 50.000 Menschen nahmen an den verschiedenen Aktionen teil. Etwa 2000 blockierten die Gleise über Nacht, Traktoren verhinderten Polizeinachschub und rund 150 Meter konnten trotz massiver Polizeigewalt effizient geschottert werden.
Nach so vielen positiven Ergebnissen lässt sich nur hoffen, dass mit diesem Event nicht alles vorbei ist und die revolutionäre Linke auch im politischen Alltag die ökologische Frage vor allem inhaltlich voranbringt. Denn an dieser Stelle bestehen bei großen Teilen der Anti-Atombewegung, die alles andere als homogen ist, noch eklatante Lücken und vielleicht auch Widersprüche, die nicht so ohne weiteres aufzulösen sind. Doch die große Solidarität, die die Menschen vor Ort erleben durften, ist ein Grundstein, auf dem sich perspektivisch aufbauen lässt.

Erschienen in barricada – November 2010