50 Shades of Bullshit – Sexismus und die linke Szene
Sascha: „Schreiben wir vielleicht ´ne Rezension zu 50 Shades of…“
Nikolaj: „Häh? Im Ernst jetzt?“
Sascha: „Ja, warum nicht?“
Nikolaj: „Okay, sowas ähnliches. Vielleicht. Oder was ganz anderes.“
Lieber was ganz anderes! Gegen das Thema Sexismus in der linken Szene gibt es deutliche Vorbehalte. Das mag daran liegen, dass die Szeneauseinandersetzungen speziell zu Sexismus teilweise beschissen geführt wurden und der Bereich Sexismus ein Magnet zu sein scheint für alle problematischen Aspekte, welche die radikale Linke zu bieten hat.
Viele werden nicht müde zu betonen, wie wichtig ihnen das Thema sei, natürlich! Gleichzeitig wird gewarnt vor der Gefahr der Selbstbespiegelung und unnötiger szeneinterner Zankereien. Wir wollen schließlich keine Nabelschau betreiben und ellenlange Papiere über uns selbst austauschen, sondern gesellschaftlich revolutionär wirkungsmächtig werden…
Bei anderen kommt die Auffassung von Haupt- und Nebenwidersprüchen dabei durch die Hintertür zurück. Ob etwas als Nebenwiderspruch behandelt wird, zeigt dann auch die Praxis – die politische wie die Lebenspraxis.
Periodisch, spätestens beim nächsten szeneinternen Aufreger, kommt dann gerade das zurück, was man mit der Vermeidung der Benennung von Widersprüchen verhindern wollte.
Zehn Jahre ist es her, dass eine Auseinandersetzung um die Definitionsmacht, entstanden in der Debatte um ein Anklagepapier gegen einen damals der Nürnberger Szene angehörenden Menschen, wieder einmal zur Spaltung der Szene geführt hatte. Der Riss ging damals auch quer durch die größte autonome Gruppe der Stadt. Ein großer Teil dieser Organisation spaltete sich ab und gründete eine neue Gruppierung. Beide, die Weggegangenen und die Verbliebenen, kündigten an die Diskussion, die gemeinsam nicht mehr sinnvoll geführt werden konnte, nun für sich weiterführen und Ergebnisse veröffentlichen zu wollen.
Falls diese Diskussionen geführt wurden, dann offenbar in vorbildlicher Klandestinität. Eine, wie auch immer gefasste, Öffentlichkeit bekam jedenfalls nichts davon mit. Ob nach nunmehr zehn Jahren Ergebnisse vorliegen ist daher ebenfalls nicht bekannt. Wenn es sie gibt, werden sie vermutlich in den jeweiligen Gruppentresoren sicher verwahrt.
Schön, mal darüber geredet zu haben
Was es immerhin gibt: In sämtlichen Ecken der Szene werden ab und zu Seminare und Workshops zum Thema Sexismus abgehalten, und manchmal ist dabei sogar die linke Szene oder (seltener) die eigene Praxis im kritischen Blick. Es gibt antipatriarchale Aktionen, Veröffentlichungen, Vorträge und Ausstellungen, und selbstverständlich ist so manchem Flugblatt beigefügt dass Sexismus scheiße ist und das Patriarchat abgeschafft werden soll. Meistens weiss jede/r, was er/sie öffentlich zu sagen hat, welche Ansichten und Lebenspraktiken besser nicht erwähnt werden sollten.
In Auseinandersetzungen anlässlich mehr oder weniger konkreter Sexismus- oder Übergriffsvorwürfe gab es immer wieder Anlass, das bisherige soziale Umfeld des Beschuldigten zu kritisieren. Menschen, welche die später zur szeneinternen Anklage gebrachten Verhaltensweisen kannten, ohne sie jemals offen, ernsthaft oder auch nur verständlich zu kritisieren, finden sich nach dem Erheben von Vorwürfen oft im Lager der AnklägerInnen. Selbst wenn sie keinen solchen Lagerwechsel vollziehen (bei diesem einen Thema wird ein argumentativ bestimmter Diskurs schnell ersetzt durch einander feindlich gegenüberstehende Lager, in denen jede/r Szeneangehörige zur Not zwangsweise untergebracht wird): Die Kritik am vormaligen Schweigen bleibt berechtigt.
Wie wenig ernst manche das Thema und die eigene Positionierung dazu nehmen, zeigt die Leichtigkeit, mit der einige Leute, die eben noch gelangweilt abgewinkt hatten, wenn es um den neuesten szeneinternen Vergewaltigungsvorwurf in Göttingen, Berlin, Hamburg oder sonstwo ging („der übliche Scheiß…“) zu Beginn einer Vorwurfs-Debatte im eigenen Aquarium plötzlich zu glühenden VerfechterInnen des Definitionsmachtkonzepts werden.
Ob solch blitzartige Läuterungen häufiger sozial, politisch-taktisch oder durch ideologisches Umdenken motiviert sind, sei dahingestellt.
Auch in Reaktionen auf das 2005 in Nürnberg gegen eine Person gerichtete Vorwurfspapier und die darauffolgende Debatte wurde darauf hingewießen, dass es die Aufgabe der FreundInnen des beschuldigten Menschen gewesen wäre, ihn zu einem frühen Zeitpunkt offen zu kritisieren, ihm klarzumachen, was sein Verhalten ihrer Meinung nach bei anderen auslöst und daran mitzuarbeiten, dass er sein Verhalten ändert.
Was aber, wenn jemand (außer auf Facebook und beim Feiern) keine Freunde hat? Dann bleibt es die undankbare Aufgabe seiner politischen Bezugsgruppe, diesen Job, falls nötig, zu übernehmen.
Eigentlich sollte es in emanzipatorischen Organisationen, Gruppen und Szenen selbstverständlich sein, dass Verhaltensweisen, die im Widerspruch zu den geäußerten wesentlichen politischen Einstellungen und Positionen stehen, offen kritisiert, selbstkritisch reflektiert werden und wenigstens zunächst der Willensvorsatz entsteht, diese Verhaltensweisen zu ändern und dies dann auch aktiv anzugehen. Die Anerkennung des Umstandes, dass wir alle Produkte einer von Rassismus und Sexismus durchdrungenen Gesellschaft sind und die Berücksichtigung unterschiedlicher Entwicklungsstände von Menschen schaffen die Voraussetzung dafür, dies zweckmäßig zu tun. Als Entschuldigung für die Unterlassung solcher Bemühungen taugen sie nicht.
Was hat das Politische mit dem Privaten zu tun?
Die Antwort auf diese Frage wurde im Juli 2013 in dieser Zeitschrift in gewohnter Bescheidenheit schon einmal gegeben, mit dem Beitrag „Mein Hobby? Linksradikal sein!“. Behandelt wurde damals eine oftmals festzustellende Abspaltung des Politischen und seine Auslagerung in einen besonderen Bereich, der mit dem übrigen Leben gefälligst nichts zu tun haben soll. Biographisch macht sich dies dann konsequenterweise oft dadurch bemerkbar, dass das Mittun in der radikalen Linken nach ein paar Jahren aufgegeben wird. Reflexion, schmerzhafte Selbstkritik und Erkenntnissuche, vor allem aber das Bestreben, dass die politischen Erkenntnisse das ganze Leben in allen Bereichen durchdringen, ist die Voraussetzung dafür, ein selbstbewußtes politisches Subjekt zu werden.
Wer nach dem fünften Bier oder in trauter Männerrunde oder im höchst privaten Raum der Beziehung sexistisch wird, ist kein Antisexist. Auch dann nicht, wenn er am Vortag eine radikal antipatriarchale Rede gehalten hat. Ein Fall für Anklagepapiere oder einen Szeneausschluss ist er auch nicht notwendigerweise. Es kommt darauf an, wie Menschen mit Kritik umgehen, ob sie fähig zur Selbstkritik sind und bereit, sich wirklich zu bewegen. Die Frage ist allerdings, ob Kritik überhaupt erst geübt wird. Mit der Sozialpädagogisierung der Linken geht ein Verlust von politischer Kritikkompetenz einher. Vermehrt geht es darum, problematisches Verhalten sozial zu managen statt zu kritisieren und zu unterbinden und allenfalls oberflächliche Konformität herzustellen, sofern dabei das Betriebsklima und das allgemeine Wohlbefinden nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch dies folgt der Logik, dass das Politische keinen Anspruch darauf hat, im Privatleben sich störend bemerkbar zu machen. Für ein erfolgreiches Sozialmanagement reicht es oft aus, kritikable Vorfälle unter den Teppich zu kehren oder zu ignorieren und andere zum Ignorieren anzustiften. Schließlich existiert ein Problem nicht, wenn niemand hinsieht. So entsteht ein virtueller Schutzraum. Geschützt werden in ihm Menschen, die sich nicht bewegen, nichts an sich ändern wollen, vor Kritik und politischen Forderungen – und vor Konsequenzen, denn die stören das Feiern und sonstige Kontakte – das Private eben.
Ob nun jemand ein übler sexistischer Mensch ist oder ein gar nicht so übler und irgendwie auch gar nicht sexistischer, das heißt mit wieviel Toleranz er rechnen kann, hängt dabei sehr von seiner Position im jeweiligen sozialen Gefüge ab und wenig von dem, was er sagt und macht. Daneben sollte er es geschafft haben, die Regeln eines verdrucksten und kanalisierten Sexismus zu kennen und zu beachten. An einigen nämlich wird dann doch, in gewissen Abständen, die antisexistische Arbeit am Individuum (und das heißt natürlich: am Anderen) exekutiert. Diese Praxis einerseits und das lieber-nicht-darüber-reden-Wollen andererseits sind keine Alternativen, sondern sie bedingen und ergänzen einander.
Spaßbremsen und Störenfriede
Zu dem Konzept „Soziales Management statt politischer Kritik“ gehört natürlich auch die Verhinderung politischer Kritik und hierzu der angedrohte oder ausgeführte Angriff auf mögliche KritikerInnen. Dass Gruppendruck häufig Menschen dazu bringt, sexuelle Übergriffe zu verschweigen, ist ein bekanntes Phänomen. Wiederum nach der Logik, dass ein Problem nur existiert, wenn jemand darauf aufmerksam macht, sorgen KritikerInnen für Unmut, nicht das Verhalten der Kritisierten. Dies greift natürlich nicht, wenn Kritik völlig abstrakt bleibt oder auf niemanden gerichtet ist.
Wohl als schlechte Reaktion auf Political Correcteness, auf deren Kritik mit Argumenten so manch eine/r lieber verzichtete, kamen spätestens in den 90ern die wahnsinnig witzigen TabubrecherInnen in die Szene. Ihre Blüte haben diese immer nach Spaltungen und den Hochphasen der hart geführten Szeneauseinandersetzungen. Oft ist es akademischer Mittelstandsnachwuchs, der sich unter dem Verweis darauf, das sei eben proletarisch, „tabubrechender“ Sexismen bedient – und so nicht nur zur eigenen Bespaßung Frauen anpisst, sondern nebenher noch die ArbeiterInnenklasse.
Was witzig daherkommen soll, verschafft den SexistInnen den Vorteil gegenüber ihren KritikerInnen, dass letztere als humorlose Spaßverderber dargestellt werden können. Witze und Satire im Zusammenhang mit Unterdrückungsverhältnissen sind freilich möglich und können emanzipatorisch sein. Manches aber kommt daher als Witz auf Kosten eines Unterdrückungsverhältnisses und ist dabei doch nur ein Witz auf Kosten Unterdrückter, also antiemanzipatorisch. Betont sexistischer Sprachgebrauch ist allerdings in der Regel noch nicht einmal als Witz verpackt, sondern schlicht sexistisch. Das witzige daran ist dann lediglich der infantile Spaß am „Tabubruch“. Den persönlichen Mehrwehrt können sich die kleinen Racker und Lauser dann aber auch aus den teilweise anerkennenden Reaktionen ihres Umfelds ziehen.
Ironisch gebrochen daher kommt dagegen ein „überzogenes“ oder leicht entfremdetes Spiel mit Sexismen. Dies scheint besonders reizvoll für vom Antisexismus gegängelte Szeneangehörige beiderlei Geschlechts. Bei einem „Die wissen, dass ich weiss, dass die wissen, dass das sexistisch ist“ bleibt unterm Strich eben ein: Das ist sexistisch. Nur eben schön immunisiert, da angeblich ironisch. Als Werbestrategie wird dies schon seit Jahren unter den Stichwörtern Hipster Sexismus und liberaler Sexismus auch von bürgerlichen FeministInnen kritisiert – als gefährlicher als plumper eins-zu-eins-Sexismus, da er das Zeug dazu hat, Sexismen auch ein Einfallstor in scheinbar aufgeklärte und fortschrittliche Zusammenhänge zu bieten.
Entwicklung oder brüchiger Konformismus
Repression gegenüber Sexismen ist angebracht. Damit werden die jeweils gewünschten Standards gesetzt und eine Kultur geschaffen und bewahrt. Hierbei aber nur auf (soziale) Sanktionen zu setzten und argumentative Begründungen zu unterlassen erzeugt allenfalls Gruppenkonformität, die sich oft nur dann im Verhalten manifestiert, solange dieses der Gruppe bekannt wird. Erkenntnis, Umdenken und Entwicklung von politischen Subjekten wird so gerade nicht erreicht.
Dass früh erlernte Verhaltensweisen und ansozialisierte Defizite nicht von einem Tag auf den anderen überwunden und abgelegt werden, dürfte die Regel sein. Linke Gruppierungen, die nur darauf setzen, dass ihre Mitglieder möglichst schnell politisch korrekte Sprache und Umgangsformen erlernen und alle Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten leugnen, welche sich in den Positionen und Haltungen von allen Menschen, die sich der revolutionären Linken anschließen, finden dürften, decken das Problem nur zu. Vielleicht geht es manchmal aber auch nur hierum: Nichts soll die Illusion stören, mensch sei dabei, sich eine „Insel der Reinen“ zu erschaffen und sei qua Gruppenzugehörigkeit eine/r von den Guten. Vielleicht ist manchen die Abgrenzung der eigenen Person von der durchweg dummen und bösen Restgesellschaft und den noch viel dümmeren und böseren konkurrierenden linken Strömungen und Gruppen wichtiger als die Entwicklung tatsächlicher revolutionärer Politik und Bewegung. Identitäre und nahezu ausschließlich selbstreferentielle Politik in der jeweils eigenen Ersatzfamilie ist dann regelmäßig die Grundlage dafür, jeden Anspruch auf tatsächliche gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit aufzugeben.
Dies lässt sich auch umgekehrt fassen: Wo eine revolutionäre Linke die konkrete Perspektive, die Verhältnisse umzuwälzen und die Welt zu ändern, nicht mehr zu haben glaubt oder nicht haben möchte, wird sie zurückgeworfen auf die ausschließliche gegenseitige Formung und Bildung der eigenen Mitglieder. Diese war schon immer ein notwendiges Ziel revolutionärer Organisationen, ebenso wie der Selbsterhalt. Zweck jedoch ist beides nicht, sondern die wirkliche Abschaffung jeder Unterdrückung in der wirklichen Welt.
Vor dem Hintergrund des Ziels einer wirklichen Abschaffung des Patriarchats und der Überwindung des Kapitalismus ist es die Aufgabe von revolutionären Organisationen, auch Sexismus in den eigenen Reihen zu thematisieren und zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund ist dies auch möglich, ohne dass es zur Nabelschau oder Gruppentherapie gerät.
Eine revolutionäre Linke kann eine Debatte über Sexismus nicht nur in Form von Ritualen, als destruktiven (Papier-)krieg, sporadischen Austausch von Bekenntnissen oder im Hexenjagdmodus führen. Manchmal beweist sie das auch und tut gut daran, denn Sexismus gedeiht, wo er nicht thematisiert wird.
Erschienen in barricada – Mai/Juni 2015