Das autonome Jahr 2007 – was war los in Nürnberg und sonst wo

Ein Jahr geht zu Ende und es ist Zeit kurz durchzuatmen und das Vergangene Revue passieren zu lassen, damit Erfolge nicht übersehen und aus Fehlern die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die nürnberger radikale Linke war 2007 auf jeden Fall gar nicht faul und ist ihrer Aufgabe, die Kritik an den herrschenden Verhältnissen zuzuspitzen, gemessen an den Kräfteverhältnissen, sicherlich gerecht geworden. Es gab so viele Aktivitäten, bei denen nürnberger radikale Linke eine Rolle spielten, dass der Autor dieser Zeilen schweren Herzens eine Auswahl treffen musste.

Zu Beginn des Jahres wagten sich viele Nürnberger Revolutionäre aus ihrem Stadtteil, ja sogar Nürnberg, heraus, und gingen Skifahren in Davos oder Shoppen in München. Das schöne daran: Der Skiurlaub in Davos ließ sich prima mit dem Widerstand gegen das World-Economic-Forum, das jährlich im Januar dort stattfindet, verbinden und in München konnte, wie jeden Februar, gegen die so genannte Sicherheitskonferenz demonstriert werden. Andere, die nicht so weit reisen wollten, unterstützten in den Wintermonaten in Gräfenberg den wachsenden Widerstand der dortigen Bevölkerung gegen unzählige Naziaufmärsche. So gelang es gute Kontakte zu den AktivistInnen in Gräfenberg aufzubauen.

Für einen kleinen Skandal sorgte die Nürnberger Polizei Anfang März. Eine etwa 80 TeilnehmerInnen umfassende Spontandemonstration gegen die Räumung des Kopenhagener Jugendzentrums Ungdomshuset wurde in der Nürnberger Innenstadt von der Polizei gewaltsam aufgelöst und 46 meist jugendliche Personen in Gewahrsam genommen und dann stundenlang in der Polizeiwache schikaniert. Fast alle Gefangenen wurden erkennungsdienstlich behandelt, etliche mussten sich vor  Polizisten nackt ausziehen. Klein blieb dieser Skandal nur, weil die Nürnberger Mainstreampresse zwar zuerst für ihre Verhältnisse relativ objektiv berichtete, dann aber schnell das Interesse verlor. Aber auch die radikale Linke unternahm zu wenig, um die Kritik am Verhalten der Systembüttel in die Öffentlichkeit zu tragen.

Vom revolutionären 1. Mai in Nürnberg…
Eine feste Konstante im Terminkalender (nicht nur) der Nürnberger radikalen Linken ist die revolutionäre 1. Mai-Demonstration und das internationalistische Straßenfest, die von der organisierten autonomie (OA) vorbereitet und vom revolutionären 1. Mai-Bündnis getragen werden.
Mit über 3000 TeilnehmerInnen liefen dieses Jahr auf der revolutionären 1. Mai-Demonstration mehr Menschen als jemals zuvor.  Die Provokation der NPD, am 1. Mai marschieren zu wollen, sorgte für zusätzliche Motivation, am 1. Mai zu zeigen, wem die Straße gehört.
Die Demonstration, die dieses Jahr unter dem Motto stand „Es geht auch ohne Ausbeutung und Unterdrückung! Es geht auch ohne Kapitalismus! Faschismus bekämpfen! Für die soziale Revolution weltweit!“, zog zielstrebig in die Südstadt, wo die Nazis ihren Marsch beginnen wollten. Nach der Demonstration blieben Tausende AntifaschistInnen vor Ort und versuchten die FaschistInnen am marschieren zu hindern. Doch mal wieder war von den zuständigen Behörden beschlossen worden, den Aufmarsch von etwa 150 Rassisten und Antisemiten mit allen Mitteln durchzusetzen. Die gesamte Route des Naziaufmarsch war durch Gitter und Polizei-Spezialeinheiten abgeriegelt worden. Jeder Versuch, sich den Nazis in den Weg zu stellen, wurde mit Gewalt unterdrückt. Doch trotz des umfassenden Schutzes der den Nazis gewährt wurde, beeilten sie sich ihren Aufmarsch schnell zu Ende zu bringen und absolvierten ihre rund kilometerlange Marschroute in rekordverdächtigen 24 Minuten, wobei sie mehrmals fliegenden Gegenständen ausweichen mussten. Dass Nürnberg nicht nur ein heißes Pflaster für NPD-Faschisten ist, musste auch der jetzige Ministerpräsident und damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein feststellen. Seine Person wurde vor der Lorenzkirche, auf der bürgerlichen Kundgebung, von der überwiegenden Mehrheit der anwesenden Nazi-GegnerInnen mit lautstarken Mißfallensäußerungen begrüßt. Sogar Gegenstände sollen auf Beckstein geworfen worden sein. Nachdem die Nazis endlich wieder von der Polizei in die eigens für sie bereitgestellte U-Bahn begleitet worden waren, feierten noch Tausende auf dem internationalistischen Straßenfest in Gostenhof.

… zum G8-Gipfel nach Heiligendamm!
Gleichzeitig war der revolutionäre 1. Mai in Nürnberg auch der Auftakt der heißen Phase lokaler (Mobilisierungs-)Aktivitäten gegen den G8-Gipfel, der vom 6. bis zum 8. Juni an der Ostseeküste in Heiligendamm stattfand. Initiiert vom Sozialforum Nürnberg bereitete ein breites Bündnis, dem sich über 35 Gruppen, Organisationen und Initiativen aus Nürnberg, Fürth und Erlangen anschlossen, vielfältige Aktivitäten gegen den G8-Gipfel vor. Das Spektrum der beteiligten Gruppen reichte von revolutionären Linken über einzelne Gewerkschaftsgliederungen bis zu christlichen Gruppen. Eine vom Bündnis herausgegebene Broschüre dokumentierte eindrucksvoll die über 40 thematischen Veranstaltungen der einzelnen Bündnisgruppen und die vom Bündnis selbst vorbereitete Veranstaltungsreihe. Auch wenn bei dieser Flut an Veranstaltungen natürlich die meisten nicht so gut besucht waren, wurde doch erreicht, dass die Kritik an der Politik der G8 in Nürnberg breit wahrnehmbar wurde. Viele der beteiligten Gruppen resümierten aber, dass weniger Veranstaltungen mit schärferer Schwerpunktsetzung vielleicht besser gewesen wären. Zum Abschluss der lokalen Mobilisierung nach Heiligendamm demonstrierten rund 500 Menschen unter dem Motto „Gemeinsam gegen den G8-Gipfel – eine andere Welt ist möglich und nötig“ durch die Nürnberger Innenstadt und Johannis. Der Demonstration war allerdings zuvor von der Stadt Nürnberg verboten worden, direkt zum global agierenden Pharmakonzern Novartis in der Roonstraße zu ziehen, da Unbekannte zuvor die Fassade der deutschen Konzernzentrale mit roter Farbe verziert hatten. Novartis klagte zu dieser Zeit gerade in Indien gegen billige Nachahmeprodukte, die es auch ärmeren kranken Menschen ermöglichen zu Überleben. Um also den Konzern vor weiterer Kritik zu schützen, unterstellte die Stadt Nürnberg kurzerhand die im lokalen Anti-G8-Bündnis aktive organisierte autonomie hätte sich zu dem Farbanschlag bekannt. Es fanden sich Richter, die diesem Lügenmärchen glauben schenkten, als das Bündnis gegen das Verbot klagte.

Trotz aller Hetze – Gostenhof rulez!

Aber nicht nur Ordnungsamt, Polizei und Justiz versuchten im Vorfeld des G8-Gipfels alles zu tun um linke KritikerInnen der G8 zu diskreditieren. Auch die Nürnberger Lokalpresse spielte bereitwillig mit, allen voran die Nürnberger Nachrichten. Besonders schlimm hetzte die Systempresse gegen BesucherInnen des von Radio Z initiierten Stadtteil-Events „Gostenhof rulez“, das am 11. Mai stattfand. Von brennenden Straßen und gewalttätigen Autonomen schwadronierte die Nürnberger Systempresse, während die Anwesenden nur pöbelnde und sinnlos herum rennende Polizisten wahrnehmen konnten. Grund des polizeilichen Massenauflaufs soll ein Lagerfeuer am Rande der Mittleren Kanalstraße gewesen sein, das irgendwann von selbst ausging. Da die „Krawalle in Gostenhof“ sich nur in der Fantasie von Provinz-JournalistInnen abgespielt hatten, musste die AZ zur Bebilderung ihres wahnhaften Artikels auf ein Archivbild aus Berlin (!) zurückgreifen. Bezeichnend ist, dass die Nürnberger Journallie zwar jederzeit Autonome herbeifantasieren kann, wenn es gilt einen absolut sinnlosen Polizeieinsatz zu rechtfertigen, aber über die von Autonomen organisierte revolutionäre 1. Mai Demonstration regelmäßig kaum ein Wort verliert. Auch ein gewaltfreies Aktionstraining, das die Gruppe radikale Linke (RL) in der Desi veranstaltete, sorgte für Stoff, aus dem die NN-Redakteurin Sabine Stoll während der Proteste gegen den G8-Gipfel einen Enthüllungsbericht bastelte, der allerdings nur enthüllte, dass seine Autorin weder Flugblätter lesen, noch kulturelle Codes verstehen kann. Die Hip-Hop-Combo „Kurzer Prozeß“, die im Artikel ebenfalls erwähnt wurde, widmete ihr ein Dankeslied mit dem Titel „liebe Sabine“ – schon heute ein Klassiker.

Während sich in Nürnberg die Repression gegen G8-KritikerInnen im Vorfeld des Gipfels in Grenzen hielt, durchsuchte das BKA im Norden zahlreichen linke Läden, Büros und Wohnungen von AktivistInnen. Doch die peinliche, aber für Betroffene durchaus sehr lästige Aktion des BKAs lieferte nicht nur keine Beweise gegen die Bewegung, sondern gab der Mobilisierung nach Heiligendamm noch einen gehörigen Schub. Tausende demonstrierten bundesweit gegen die Repression des Staates und jeder, der oder die noch zweifelte, ob sie nach Rostock/Heiligendamm fahren sollten, entschied sich spätestens jetzt dafür.

7 Tage an der Ostsee

Über die Woche des Widerstands gegen den G8-Gipfel rund um Heiligendamm vom 2. bis zum 8. Juni könnte hier so vieles stehen. Klar ist, das war das linke Top-Event des Jahres 2007 und ein Erfolg für die radikale Linke. Da aber schon so viel dazu geschrieben wurde, hat sich der Autor dieser Zeilen sich für die Kurzform entschieden:
Am 2. Juni demonstrieren etwa 60000 Menschen in Rostock gegen die Politik der G8-Staaten. Mit dabei rund 8000 Linksradikale, fast alle vermummt. Sah es zunächst so aus, als würde sich die Polizei an die Absprachen halten und die Demonstration und die Abschlusskundgebung nicht angreifen, widerlegte ein organisierter Angriff der Ordnungshüter auf die Demonstration diese grundnaive Annahme. Es folgt eine wilde Straßenschlacht am Rand der Abschlusskundgebung und darauf heftige Debatten. Teile der radikalen Linken sangen sogar im Chor der Medien mit, die die Verantwortung für die Straßenschlacht in Rostock auf den „Schwarzen Block“ oder „eine wilde Mischung aus Hooligans, Jugendlichen aus der Gegend und Leuten aus dem Ausland“ schieben wollten. Und manche wollten sogar deshalb die geplanten Blockaden des G8-Gipfels zum Presse-Foto-Shooting umfunktionieren. Doch das Block-G8-Bündnis traf die richtige Entscheidung und zu Beginn des Gipfels war der Landweg zum Tagungsort fast vollständig blockiert. Zu Recht wurde danach noch monatelang (nicht nur) in der radikalen Linken von dieser erfolgreiche Massenaktion geschwärmt.
Nach Heiligendamm beschäftigten sich viele Nürnberger Autonome lieber mit sich selbst und fuhren in den Urlaub. Wieder zurück, musste nüchtern festgestellt werden, dass die G8-Mobilisierung die radikale Linke viel Kraft gekostet hatte und so war bei der bundesweiten Demonstration gegen die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr am 15. September die bundesweite radikale Linke kaum wahrnehmbar.
Stärker sichtbar und vor allem auch handlungsfähiger waren linksradikale Kräfte eine Woche später, als etwa 15000 Menschen in Berlin gegen Überwachung und Repression demonstrierten. Erfolgreich wehrten sich Hunderte gegen Polizeikontrollen und schwächelten dann später leider etwas, als die Polizei – wie in Berlin wohl üblich – den linksradikalen „Kein Friede“-Block immer wieder wegen angeblichen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz angriff.

Erfolg in Fürth …
Eine erfolgreiche Kampagne gegen Nazitreffpunkte organisierte die Antifaschistische Linke Fürth zusammen mit dem Antifaschistischen Aktionsbündnis Nürnberg Anfang Oktober. Den ganzen Monat hindurch wurde in Fürth durch Infostände und Veranstaltungen die Öffentlichkeit über Naziumtriebe in Fürther Kneipen aufgeklärt. Die Wirtin der am häufigsten von Nazis besuchten Kneipe „Grüner Automat“ sagte aufgrund des durch die Kampagne aufgebauten politischen Druckes schon vor dem Höhepunkt der Aktivitäten zu, keine NPD-Veranstaltungen mehr zu dulden. Seitdem wurden in der Kneipe keine Nazis mehr gesichtet. Diesen Erfolg feierten wenige Tage später rund 120 Menschen mit einer sehr gut besuchten antifaschistischen Kundgebung vor dem „Grünen Automaten“. Am 3. November demonstrierten dann zum gelungenen vorläufigen Abschluss der Kampagne über 400 AntifaschistInnen durch Fürth und konnten sich über viele ermutigende Gesten der Fürther Bevölkerung freuen. Am gleichen Tag zogen 7000, aus ganz Bayern herangekarrte, türkische NationalistInnen durch Nürnberg um für einen Angriff des türkischen Militärs auf PKK-Stellungen im Nordirak Stimmung zu machen. Für Kontroversen sorgte die Teilnahme eines SPD-Stadtrates an der Demonstration, auf der hundertfach faschistische Grüße gezeigt und Parolen skandiert wurden. Zwei Wochen später protestierten rund 700 NürnbergerInnen gegen diese Art von Kriegshetze. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis türkischer, kurdischer und deutscher Gruppen, Parteien und Organisationen.

… macht Bullen wild

Dass das erfolgreiche Engagement radikaler Linker in Fürth der Polizei ein Dorn im Auge ist, die Aussagen Fürther Polizisten zufolge mit Nazis besser klar kommt, als mit Menschen die auf rechte Umtriebe aufmerksam machen, wundert kaum. So sind vor allem jugendliche Fürther Antifas in den letzten Monaten vermehrt zur Zielscheibe polizeilicher Repression geworden, während prügelnde Nazis erst gar nicht verfolgt werden. Anlässlich eines Nazi-Infostandes am 17. November in Fürth wurden zahlreiche jugendliche Nazi-GegnerInnen mit haarsträubenden Begründungen von der Polizei in Gewahrsam genommen. Als einige Jugendliche, offensichtlich angewidert vom Verhalten der Polizei, sich entfernen wollten, wurden sie plötzlich von Nazis mit Faustschlägen in einer Seitenstraße attackiert. Rätsel: Was hat die Fürther Polizei wohl daraufhin getan? Die Antwort ist so einfach, wie naheliegend: Natürlich die angegriffenen Jugendlichen in Gewahrsam genommen und die Schläger-Nazis erst gar nicht verfolgt. Ein Umstand, der nicht nur in Fürth für Empörung weit über linksradikale Kreise hinaus gesorgt hat.

Ausbildungsplätze für alle und ein runder Geburtstag

Am 24. November demonstrierten in Nürnberg etwa 2500 DGB-Jugendliche im Rahmen eines Aktionstages unter dem Motto „Für Ausbildung und Übernahme“. Rund 150 Menschen beteiligten sich an einem von der SDAJ initiierten antikapitalistischen Block, in dem auch mit Abstand am meisten Transparente mitgeführt wurden. Dass der DGB – und fast alle Einzelgewerkschaften – allerdings nach mehreren Monaten Vorbereitung nur 2500 Jugendliche aus ganz Bayern mobilisieren kann mutete schon etwas seltsam an, vor allem weil in Bayern zehntausende Ausbildungsplätze fehlen. Während das Bierzelt auf dem DGB-Aktionstag – trotz Konzert – sehr leer blieb, obwohl Tausende Jugendliche dorthin demonstriert waren, war dieses Verhältnis bei einer Party am 30. November anders herum. An diesem Tag wurde die Autonome Jugendantifa (AJA) nämlich 10 Jahre alt und feierte dies mit einer gut besuchten Jubelparade unter dem Motto „Love AJA – hate capitalism“, an der sich etwa 150 Menschen beteiligten und einer noch viel besser besuchten Party mit Konzert in der Desi. Und mit herzlichen Glückwünschen an die AJA, die wohl eine der ältesten noch existierenden Autonomen Gruppen in Nürnberg ist, endet hier auch schon der Jahresrückblick 2007. Zeit, wieder nach vorne zu schauen und auch im nächsten Jahr weiter damit fortzufahren, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Quelle: barricada, Dezember 2007